Der Albtraum jedes Reisenden: ein Unfall mitten im Urlaub, Rettung per Hubschrauber, Krankenhausaufenthalt, OP. Wenn plötzlich nicht mehr klar ist, wie es weitergeht, wie und wann Du nach Deutschland zurück kannst und ob Du jemals wieder laufen wirst. Eine sehr persönliche Geschichte.

Ein sonniger Tag am Lake Powell

Es ist Donnerstag, 20. Mai 2004. Ich bin mit meinen Eltern und meinem damaligen Partner unterwegs auf einer USA Rundreise. Wir haben in Page übernachtet und planen nach einem Bootsausflug auf dem Lake Powell an diesem Tag noch die Besichtigung des Antelope Canyons.  An der Wahweap Marina mieten wir ein kleines Powerboat. Ich finde den Lake Powell unheimlich und unnatürlich. Ein lebendiger Canyon, der im Wasser ertränkt wurde. Ein riesiges Monster mit vielen Wasserarmen.

Ich zittere vor Angst, als das Boot Geschwindigkeit aufnimmt

Das Boot wird abwechselnd von meinem Vater und meinem Partner gefahren. Ich kauere mich auf der Rückbank zusammen und weine vor Angst. Meine Mutter entspannt sich und genießt die Sonne. Meine Eltern überzeugen mich schließlich, es mir mit meiner Mutter auf den Sonnenliegen vorne auf dem Boot bequem zu machen und meine Angst zu vergessen. So fahren wir entspannt, bis auf dem Rückweg das Unheil seinen Lauf nimmt.

Entspannte Bootstour auf dem Lake Powell vor dem Unfall

Entspannt genießen wir den Tag

„Ich spüre meine Beine nicht mehr“

Im Kanal zwischen Antelope Island und dem Südufer des Sees fährt ein Ausflugsboot an uns vorbei, voll mit Touristen auf dem Weg zur Rainbow Bridge. Das Boot fährt viel zu schnell und erzeugt Wellen. Die Wellen können im engen Kanal nicht ausrollen und unser Boot fängt an zu springen und zu hüpfen. Meine Mutter und ich müssen uns krampfhaft auf den Sonnenliegen halten, um nicht vom Boot zu fallen. Mein Rücken schmerz bei jedem Aufprall mehr und meine Mutter fängt an zu wimmern. Endlich ist es vorbei und wir denken, daß alles überstanden ist. Meine Mutter hat Schmerzen am Rücken und sagt: „Ich spüre meine Beine nicht mehr“.

An der Marina wartet bereits der Rettungshubschrauber

Mir ist sofort klar, daß wir ein ernsthaftes Problem haben. Ich bitte meinen Vater, meine Mutter ruhig zu halten und wir fahren in entsetzlich langsamer Geschwindigkeit Richtung Marina. Unterwegs halte ich ein Pärchen an, welches vor uns die Marina erreichen wird, und bitte um ihre Hilfe. Wir werden einen Arzt brauchen. Als wir endlich die Marina erreichen, wartet ein Helikopter und meine Mutter wird angeschnallt und sofort ins Flagstaff Medical Center (FMC) geflogen. Auf den Rest von uns warten 2 1/2 Stunden Autofahrt und endlose Minuten Wartezeit am Emergency Room.

„Es ist viel ernster, als es aussieht“

Zunächst machen die Krankenschwestern uns Hoffnung, doch die Info des Neurochirurgen Dr. Nathan Avery lässt alle Hoffnung verfliegen. „Es ist viel ernster, als es aussieht“. Meine Mutter landet abends in der ICU (Intensiv Care Unit). Weder sie noch mein Vater sprechen Englisch. Ich kümmere mich um die Anamnese und die Verständigung und bin wie in Trance.

Gut versorgt im Taylor House

Meine Eltern sind schon Ewigkeiten Mitglieder im ADAC und haben darüber eine Reisekrankenversicherung. Ich rufe in Deutschland an und schildere den Fall. Sofort werde ich zurückgerufen und der Papierkram wird übernommen. Meine Mutter ist jetzt als Privatpatientin im FMC aufgenommen.

Eine Sozialarbeiterin des Krankenhauses bringt uns im Taylor House unter. Hier können Familienangehörige nah am Krankenhaus unterkommen. Es gibt schöne Zimmer, einen großen Aufenthaltsraum und eine tolle Küche, so daß man sich sehr gut selbst versorgen kann. Ich kann allerdings gar nichts essen und auch nicht schlafen.

Am Morgen nach dem Unfall kommt die Diagnose: Inkomplette Querschnittlähmung

Freitag, 21. Mai 2004. Der Morgen nach dem Unfall bringt die endgültige Diagnose. Ein Wirbel ist gebrochen und das Rückenmark gequetscht. „Spinal cord injury, incomplete paraplegia“ ist die Diagnose, also inkomplette Querschnittlähmung. Meine Mutter muss operiert werden. Die OP wird für den nächsten Tag angesetzt, da die Schwellung noch zurückgehen muss. Dr. Avery erklärt uns alles haarklein anhand von Röntgenbildern. Wir erledigen die Formalitäten. Da meine Mutter sediert ist, um die Schmerzen zu lindern, verbringen wir den Tag in den National Monuments rund um Flagstaff.

Ruinen im Walnut Canyon, Besichtigung nach dem Unfall

Versuch des Zeitvertreibs im Walnut Canyon

Morgens um 6 Uhr geht das Telefon

Samstag, 22. Mai 2004. Es ist noch dunkel und wir schrecken gegen 6 Uhr hoch, als das Telefon in unserem Zimmer im Taylor House plötzlich klingelt. Meine Mutter braucht uns zum Unterzeichnen der letzten Papiere. Dann geht´s für sie in den OP. Wir fahren nach Anthem zum Shoppen, können aber keine Ruhe finden.

Dr. Avery leistet ganze Arbeit und nach der OP geht es meiner Mutter schnell wieder besser. Am nächsten Tag kann sie schon auf die normale Station verlegt werden. Und endlich wissen wir, daß sie mit viel harter Arbeit und Reha wieder laufen können wird. Nach Hause wird sie erst im September zurückkehren.

Passagier dritter Klasse

Der ADAC kümmert sich hervorragend um meine Mutter. Mein Partner und ich müssen schließlich 5 Tage nach dem Unfall abreisen, da der Rückflug ab San Francisco gebucht ist. Meinen Vater können wir kostenlos umbuchen auf 3 Tage später. Meine Mutter muss länger bleiben und beginnt noch in den USA ihre Reha. Jeden Abend telefonieren wir und besprechen ihre Fortschritte. In der Zwischenzeit organisiert der ADAC ihren Rücktransport.

Unglaublich, aber wahr: keine Airline ist bereit, meine Mutter zu transportieren.

Als sie transportfähig ist, könnte sie in einem normalen Sitz der Business Class fliegen, begleitet von einem Krankenpfleger und einem Arzt vom ADAC. Sie muss noch einen Blasenkatheter tragen. Aus diesem Grund weigern sich ALLE Airlines, sie zu transportieren. Allen Airlines ist es unangenehm, ihr Business-Class-Publikum mit einer freundlichen 67jährigen Frau zu konfrontieren, die unter ihrer Kuscheldecke während des Fluges einen Blasenkatheter trägt.

LTU löst schließlich pragmatisch das Problem und baut einige Sitzreihen aus, um eine Liege für meine Mutter zu installieren. Leider fliegt LTU Hamburg nicht an und meine Mutter muss von Düsseldorf aus noch mit dem Krankenwagen transportiert werden.

Am Ende kommt die dicke Rechnung

Alle Rechnungen laufen bei meinen Eltern in Kopie auf. Zum Glück nur zur Information, denn der ADAC kümmert sich um alles. Ohne diese Reisekrankenversicherung hätten meine Eltern ihr Haus verkaufen müssen. Der Gesamtbetrag war sechsstellig.

Ich reise niemals ohne die ADAC Reisekrankenversicherung.

Zwei Jahre danach

Meine Mutter arbeitet hart. So hart, daß ich es manchmal kaum glauben kann. Im Mai 2006, zwei Jahre nach dem Unfall, sind wir wieder in Flagstaff und besuchen die Krankenschwestern und Ärzte im FMC.

Meine Mutti zu Fuß unterwegs im FMC

Meine Mutti zu Fuß unterwegs im FMC

Meine Mutter läuft! Wir setzen die abgebrochene USA Rundreise fort. Nur den Lake Powell will meine Mutter nicht wiedersehen.

Zwei Jahre später sieht meine Mutter endlich das Yosemite Valley

Zwei Jahre später sieht meine Mutter endlich das Yosemite Valley

Im selben Jahr verbringe ich noch eine wundervolle Zeit mit meiner laufenden Mutti in New York City.

Dieser Artikel ist Teil der Blogparade „Krank auf Reisen“ von Work & Travel und Backpacking.